Bergfest! Wow. Die Hälfte unserer Schwedenreise ist um. Nun geht´s wieder bergab. Zeitkurventechnisch zumindest. In unserer Wanderrealität allerdings geht es in ein paar Tagen eigentlich erst so richtig bergauf, denn am Dienstag fahren wir aufs Fjäll und starten in Grövelsjön den nun schon dritten Wanderweg unserer Tour und nähern uns auf dem Südlichen Kungsleden dem hohen Norden.
Während wir hier in Mora im Herzen Dalarnas sitzen und für einige Nächte die Isomatte gegen ein richtig echtes Bett getauscht haben, fühle ich mich irgendwie unruhig. Warum? Ich weiß es nicht so richtig. Vielleicht ist es die Tatsache, dass unsere Reise ihren Scheitelpunkt erreicht hat und jeder Schritt, den wir jetzt gehen werden, aufs Ende der Tour zugeht? Oder ist es der Respekt vor dem Fjäll, auf das ich mich schon ganz arg freue, das aber auch eine neue Welt für mich bedeutet. Eine Welt, in der das Wetter schnell umschlagen kann und Menschen vom Blitz getroffen werden. Vielleicht ist es aber auch das Gefühl, noch immer nicht richtig angekommen zu sein in diesem Reisezustand. Und dann frage ich mich, ob es das überhaupt gibt, dieses Ankommen, wenn man doch jeden Tag woanders ist.
Deshalb habe ich die letzten Wandertage auf dem VasaloppsledenVasaloppsleden sehr genossen. Wir sind 90km von Sälen nach Mora gelaufen. Auf einer Strecke, die eigentlich im Winter jährlich Zehntausende zu einem der berühmtesten Langlaufrennen der Welt anzieht.
Der Vasaloppsleden ist ein bisschen wie der nordische Rennsteig. Es gibt ihn schon sehr lange, es gibt Folklore und Infrastruktur, er ist einfach zu gehen und nicht überwältigend, was die Schönheit betrifft, aber allemal schön genug für ein sehr entspanntes Wandererlebnis. Und auch wenn man auf diesem Weg jeden Tag woanders unterkommt, so hat man doch am Etappenende ein wenig das Gefühl von Heimkommen. Denn eine Besonderheit sind die vielen Übernachtungshütten, in denen man für einen schmalen Taler schlafen, kochen und sich wärmen kann. Diese Hütten sehen fast immer gleich aus und so haben wir jede Nacht in der gleichen Ecke unsere Schlafsäcke ausgerollt und am gleichen Tisch gesessen und im Gästebuch geschmökert.
Dort haben wir Solveig, Rasmus und Mama und Papa kennengelernt, die in einem Oktober vor zwei Jahren von Stuga zu Stuga gezogen sind, jeden Abend Holz gehackt und Erbsensuppe gekocht haben. Auch alte Bekannte aus der Insta-Welt, die den Weg vor uns gegangen sind, haben wir in den Hütten-Memoiren entdeckt. Genauso wie unzählige Hasses, Annas, Kristinas und Carl-Everts, die ihr Glück und Leid unterwegs mit einem stumpfen Bleistift auf die welligen Seiten des Gästebuchs gekritzelt haben.
Diese Beständigkeit des Vasaloppsledens hat mir gut getan. Auch unsere wenigen Wanderbekanntschaften, einige nur kurz, andere mehrere Tage lang, haben mir Freude gemacht. Überhaupt sind die menschlichen Kontakte auf einer langen Reise für mich schon immer das Wichtigste gewesen. In Kombination mit der Bewegung und dem Sein in der Natur ist es für mich das perfekte Lebenselexier. Ja, ich brauche Leben! In Form von flatternden Faltern und Libellen, wachsenden Moltebeeren und zitternden Gräsern, duftenden Waldpilzen und raschelnden Birkenblättern. Aber eben auch in Form von netten Worten, aufmunterndem Lächeln und langem Erfahrungsaustausch über das Befinden und den Weg. Dieses Gefühl von ‚in einem Boot sitzen‘ schafft Verbundenheit. Und so habe ich neben den vielen wunderbaren Naturerlebnissen vor allem die Begegnungen mit Menschen in den letzten Wochen in Erinnerung.
Zwei Damen in ihren Fünfziger, die zum Ausrüstungscheck vor ihrer Sarek-Tour an den Stadtrand von Göteborg gefahren waren und nicht schlecht über unseren HappyPo* staunten.
Das schwedische Pärchen, das es sich zu Mittsommer am Windschutz gemütlich gemacht hat (und dachte, dass HappyPo eine Munddusche sei).
Der einsame Junge, der einfach nur in Ruhe seinen Mittsommerabend verbringen wollte und nun mit uns quatschen musste.
Zwei schwerstbeladene deutsche Abenteurer, die uns unmissverständlich klar machten, dass es ja ok sei, mal einen Abend in Gesellschaft zu verbringen, sie aber ja nicht nach Malle geflogen seien und so schon gern ‚ihren‘ Windschutz für sich alleine hätten.
Die junge Frau aus Deutschland, die sich ohne Karte und mit riesigem Rucksack durchschlägt und seit Wochen nur Haferflocken mit kaltem Seewasser isst.
Ein älteres Paar aus Berlin, beide schon jenseits der 50, er mehr als sie, die mit kleinen, aber starken Schritten in ihrem Tempo den Bohusleden gehen.
Zwei Frischverliebte, von denen sie den Mund nicht aufgekriegt und lieber ihn die ganze Zeit schüchtern angeschaut hat.
Mio und Lena, zwei Pfadfinder aus Deutschland, mit denen wir ein paar schöne Abende am Windschutz verbrachten.
Håkan und Peter aus Stockholm, die sich auf ihren Motorrädern zur Übernachtungshütte verirrt hatten und von denen einer lieber draußen im Zelt schlief, weil er uns mit seinem Schnarchen nicht stören wollte.
Vier polternde Schweden, die am Abend von einem Auto an der Hütte abgesetzt wurden, weil sie sich kilometermäßig stark verschätzt hatten, einfach irgendwo klingelten und um Autotransfer baten.
Und schließlich Gunilla und ihr Mann, die sich auf ihrer ersten Trekkingtour mit Mitte 50 über den Vasaloppsleden quälten, wobei sie irgendwann aufgab und in den Bus stieg, während er mit Bierbauch und Weihnachtsmannbart weiterkämpfte und letztendlich vor uns über die Ziellinie lief, wo hoffentlich Gunilla mit seiner heißersehnten Kebap-Pizza auf ihn wartete.
Und dann seid da natürlich noch ihr alle, die unsere Fotos und Berichte verfolgen und uns auf Instagram anfeuern, sich mitfreuen und mitleiden. 😍❤️
Weil ich aber auch mal ausprobieren will, wie es ist, nicht immer mit einer Gehirnhälfte im Virtuellen zu hängen, wird dies vielleicht mein letzter Live-Bericht hier auf dem Blog. Aber keine Sorge. Der Herbst und Winter wird schwedisch. Ich habe tausend Ideen für Blogartikel über unsere praktischen und emotionalen Erfahrungen auf dieser Tour.
Auf Instagram und KomootInstagram und Komoot könnt ihr natürlich weiter (wenn auch unregelmäßiger als in den letzten Wochen) unseren Weg verfolgen. Wir freuen uns auch immer über Nachrichten von euch!
Nächster Stopp: Grövelsjön. Aber jetzt erstmal Urlaub mit Bettlaken, Dusche und Fanta satt 🙂