Der frühherbstliche Wind raschelt durch die Birken, die sich in einiger Entfernung vor uns aufgereiht haben. Als wir näherkommen, sehen wir, dass schon einige der Blätter ihr Grün abgegeben und gegen ihr sonnengelbes Herbstkleid getauscht haben. Das Gras unter unseren Füßen ist feucht, obwohl der Vormittag schon fast vorbei ist. Wir gehen auf einem schmalen Pfad, der gerade breit genug für eineinhalb Füße ist. Ausgetreten von hunderten von Menschen, die im Sommer über die gleiche Wiese gelaufen sind. Wir sind zurück.
Birken und Gras und Morgentau. Auch das alles gibt es in Berlin. Man muss nur hinschauen und nicht zu sehr mit dem Herzen an schwedischen Wäldern und dem betörend schönen Fjäll hängen.
Wir sind zurück. Nun schon seit mehr als drei Wochen. Und auch wenn wir in dieser Zeit zwei Kurztrekkingtouren mit den Rucksackfrauen im fränkischen und thüringischen Wald unternommen haben, so kommen doch immer wieder Erinnerungsfetzen von Schweden an uns vorbei geflogen.
Ich denke an rundgeschliffene Felsen, tiefbraunes Wasser und die beste Abkühlung, die man sich nach einem heißen, klebrigen Sommerwandertag wünschen kann. Ich sitze in Gedanken auf Baumstammbänken, höre das Prasseln des Campingkochers und rieche den feucht-warmen Geruch von Laub und Erde. Die knarzenden Bohlenwege, über die wir so viele Kilometer gegangen sind, der Geschmack von gefiltertem Seewasser, leicht modrig und lauwarm von der Sommersonne, das undurchdringliche Gestrüpp auf den Wegen und die schmerzenden und stinkenden Füße der ersten Wanderwochen. So viele Gedanken und Erlebnisse.
Und dann kam der Norden.
Mein letzter Blogpost aus Schweden endete in Mittelschweden, kurz nachdem wir den Vasaloppsleden gelaufen waren. Kurz bevor wir uns aufmachten, das kahle Fjäll zu entdecken. Damals waren wir ziemlich aufgeregt. Wir wussten nicht, was uns erwarten würde ‘da oben’. Die Wochen zuvor hatten wir im Wald verbracht, waren heimisch geworden zwischen den Bäumen und an den Ufern der Seen. Doch wie würde es werden, wenn plötzlich keine Bäume mehr da wären? Wenn wir den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert wären? Sturm und Regen und Schnee und Eis und Gefahr. Das waren unsere Erwartungen. Und trotzdem wollten wir nirgendwo anders hin, als in den hohen Norden.
Nachdem wir von der Fjällstation in Grövelsjön aufgestiegen waren und sich das Kahlfjäll zum ersten Mal vor uns ausbreitete, war ich sofort verliebt. DAS war meine Landschaft. Offen und weit und wunderschön. Noch immer schlägt mein Herz ein bisschen schneller, wenn ich daran denke. Ich kann die Begeisterung wirklich körperlich fühlen, selbst in meiner Erinnerung. Von da an, war das Fjäll für mich nicht mehr bedrohlich, sondern einfach voll von Freiheit und kleinen und großen Wundern. Fluffiges Wollgras, tosende Flüsse, der herzzerreißende Gesang des Fjällpiepers, schneebedeckte Bergriesen, der Kampf gegen den Wind und das Gefühl durch einen eiskalten Bach zu waten. Es nimmt einem fast den Atem und doch gibt es kaum etwas Belebenderes.
Und dann waren da noch die Rentiere. Jeden Tag kreuzten sie unseren Weg, blieben mal länger bei uns oder verschwanden direkt wieder hinter den Bäumen. Ihre großen, weichen Hufe lassen sie fast lautlos bewegen. Man hört nur ein gedämpftes Klopfen, als hätten sie dick gepolsterte Pantoffeln an. Und das Geräusch der Zwergbirken, deren trockene Zweige dem Gewicht der Rentiere nicht standhalten und die in hellem Knistern nachgeben.
Was bleibt von alledem für mich, für uns? Außer ein paar für immer stinkende Schuhe und 5288 Fotos? Viele erwarten von einer mehrmonatigen Auszeit, dass diese einen verändert, dem Leben eine neue Richtung gibt, erleuchtet und erweitert und einen überhaupt komplett wegflasht. Das ist nicht passiert. Und das war auch nicht der Sinn der Sache. Denn ich habe schon vorher entdeckt, was mir wichtig ist und meinem Leben eine Richtung gegeben, in die ich in den nächsten Jahren sehr gern gehen möchte. Diese Reise durch Schweden war vielmehr die Essenz von dem, was ich in Zukunft haben möchte. Ich möchte selbst entscheiden, wohin ich gehe. Ich möchte ausprobieren und scheitern und mich neu orientieren. Das alles in meinem eigenen Tempo und ohne mich von außen zu sehr von MEINER Richtung abbringen zu lassen.
Vielleicht war das das größte Take-away von unserer Schwedenzeit: Dass ich ein eigenes Tempo habe und dass ich gern mal einen Zahn zulege, aber letztendlich immer wieder zu meiner Wohlfühlgeschwindigkeit zurückfinden muss, um zufrieden und gesund zu bleiben. Ganz praktisch hat mir das unser Wandertempo gezeigt. Ich bin mit großen Ideen in die Schwedentour gestartet. “Wir fangen an mit 15km, dann 20 und schließlich schaffen wir sicher locker 30km am Tag,” habe ich großspurig geplant. Weil das ja alle machen, die mehrere Monate wandernd unterwegs sind. Alle, die von Süditalien bis zum Nordkap oder von Portugal nach Istanbul laufen. Alle, denen ich auf Instagram folge und die bei mir immer das Gefühl weckten, dass meine 15 kg Rucksackgewicht und meine 15 Tageskilometer nicht das ‘richtige’ Fernwandern sind. Diese Alle sind letztendlich aber nur eine Handvoll Menschen, die sich selbst diese Herausforderung setzen und die für sich selbst bis ans Ende der Welt laufen. Nicht für mich und nicht für andere.
Und es ist eben nur eine Handvoll. Ich bewundere diese Menschen für ihr Durchhaltevermögen und ihren Starrsinn, ich beneide sie nicht um die Schmerzen, die Einsamkeit und die vielen Entbehrungen, und finde trotzdem richtig geil, was sie tun! Ich jedoch habe in Schweden gelernt, dass eine 4000 km lange Fernwanderung nicht das ist, was ich möchte. Und so sind bei uns nicht einmal ganz 1000 km in 3 Monaten zusammengekommen. 1000 km! Noch vor ein paar Wochen wäre ich davon irgendwie enttäuscht gewesen. Doch mittlerweile habe ich einiges erkannt.
Wir sind Wanderreisende. Wir wollen genießen und Zeit haben und eben nur 15 km am Tag laufen. Manchmal vielleicht sogar nur 10. Weil wir dann wirklich da sein können, uns nicht verausgaben und abends noch genug Energie haben, um die Rentiere neben unserem Zelt zu beobachten und eine tiefe Dankbarkeit zu spüren. Wir wollen auch zwischendurch mal in einem weichen Bett schlafen, lecker essen gehen und ein bisschen Stadtluft schnuppern. Wir wollen von allem etwas. Und das ist gut so.
Doch nun sind wir zurück. Der Alltag kriecht so langsam wieder in unsere Poren. Wir machen Pläne und freuen uns auf die Arbeit. Was uns allerdings jetzt schon fehlt ist das Draußensein. Das Einschlafen und Aufwachen inmitten der Natur. Vielleicht schaffen wir es ja, auch in unserem Alltag den einen oder anderen tiefen Naturmoment zu schaffen. Und wenn es nur die ergelbenden Birken sind, die wir ganz genau dabei beobachten, wie sie sich dem Herbst hingeben.
Und wie geht es jetzt weiter? Hier auf dem Blog wird es in den nächsten Wochen und Monaten noch jede Menge Schweden-Content geben. Mal ganz praktisch und informativ, mal ein wenig freier und emotionaler. Denn das freie Schreiben abseits von Suchmaschinenoptimierung und festen Vorgaben hat mir in den letzten Jahren ein wenig gefehlt. Deshalb wird es immer mal wieder auch kleine Gedankenspaziergänge von mir geben. Und vielleicht hast du ja dann Lust, eine Runde mitzukommen… 🙂
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Ich liebe Deine Gedankenspaziergangs-Beiträge! 🤩Vor allem natürlich, wenn es um Schweden geht. Und das nicht nur, weil ich selbst Teil davon war.
Hach Mensch, ich fühle so viele deiner Worte und lasse noch ein wenig davon nachhallen, wenn ich jetzt ins Bett gehe. Es war einfach zu schön… 🙏🏼
Du sagst es… 😘
Wunderschön, um es mal in einem Wort zu sagen. Was dein Tempo angeht, kann jedes Wort verstehen, ich bin auch die Genusswandererin, haha, gibt es das Wort, Wandererin? Egal, du weißt was ich meine, 15- 20 km, manchmal nur 10, so wie es an dem Tag richtig ist. Freu mich auf viel Schweden Content. 😘
danke für die Infos, das anders denken von Geschwindigkeit, also eher richtige Gemütlichkeit. Alles, wie ich’s auch gerne hätte. Allerdings wäre ich alleine, Ü65, und ohne Schwedisch, nur mit Englisch. Irgendwie wollen Sprachen nicht mehr in mein Hirn.
War auf pilgerwegen in Spanien vor gefühlten Ewigkeiten, als pilgern noch mehr pilgern, als rennen nach Bett, war. Auch von Oslo nach Trondheim bin ich gegangen, und dann 2020/ 2021 ausgebremst worden, da Norwegen meistens geschlossen war
Würdet ihr sagen, das ich alleine ohne Schwedisch durchkomme? gibt ja zum Glück online Übersetzung wenn lebensnotwendig, sonst Hände undAugen. Zelt weiß ich noch nicht, da eher spartanisch unterwegs, wegen Rücken 😉
eine kurze Einschätzung ohne mich zu kennen, wäre super
lieben Gruss Andrea
Mach dir keine Sorgen, was die Sprache betrifft. In Schweden spricht quasi jeder (zumindest diejenigen, die man als Tourist und beim Wandern trifft) Englisch. Und es gibt auch sehr schöne Hüttentouren, wenn dir das Zelt nicht so zusagt. 😊